Ich habe einen neuen Beruf. Ich bin «Spitalexpertin». So nennen es zumindest die Medien. Nun gut. Aber was, bitte, ist denn eine Spitalexpertin?
Sind Sie vor 1980 geboren, dann kennen Sie vermutlich noch Robert Lembke und seine Show «Was bin ich?» (sowie seine legendäre Frage «Welches Schweinderl hätten’s gern?»). Der Gast musste jeweils eine Handbewegung vorführen, anhand welcher die Kandidaten seinen Beruf erraten mussten.
Was wäre denn «meine» Handbewegung?
«Schlüssel umdrehen!» vermeine ich jemand rufen zu hören, gefolgt von unterdrücktem Gelächter. Zur Spitalexpertin wird man offenbar, wenn man Spitäler schliesst. Das ist erklärungsbedürftig, finden Sie nicht?
Zunächst einmal möchte ich betonen, dass ich KEINE Spitalexpertin bin. Spitalexperten kennen den Betrieb aus dem Effeff, wissen um Betriebsabläufe und Optimierungspotenzial, kennen Organisationsformen und Fachdisziplinen und beten schlafwandelnd die wichtigsten Kennzahlen herunter. Das alles kann ich nicht. Ich weiss knapp, wie man EBITDA buchstabiert (q.e.d.), was Leistungsgruppen und DRG’s sind und kann – mit etwas raten – einen CMO von einem CIO unterscheiden. Ich muss auch nicht viel mehr wissen, denn das tun andere. Die Spitalmanager. Oder meine Kolleginnen und Kollegen im Verwaltungsrat. Oder die unzähligen Spitalberater, die sich in der Szene tummeln.
Was ich hingegen weiss – oder vielmehr zu erfassen gedenke – ist die Funktion, die ein Spital in der Gesundheitsversorgung hat. Oder vielmehr: haben sollte. Und diese beginnt mit der scheinbar banalen Gretchenfrage «Was ist denn ein Spital?». Nichts leichter als das, werden Sie denken, das kann man ja einem Fünfjährigen erklären: Ein Spital hat Betten, in einem Spital arbeiten Mediziner und Pflegende, es hat viel technologischen Schnickschnack und behandelt Leute, die krank oder verletzt sind.
Aber, Hand-aufs-Herz, wie viele Patientinnen und Patienten MÜSSEN im (technologisch hoch aufgerüsteten) Spital sein? Könnten sie nicht anders versorgt werden? Beispielsweise in einem entsprechend ausgerüsteten Ambulatorium und einer Nachsorge in einer spezialisierten Institution – falls die Pflege zu Hause nicht in Frage kommt – die ohne grossen technologischen Schnickschnack auskommt? Oder direkt in dieser Institution, beispielsweise als betagter Mensch mit Pneumonie infolge eines Rippenbruchs?
Wie viele der zu irgendeinem zufälligen Zeitpunkt in irgendeinem beliebigen Spital (Unispitäler eingeschlossen!) liegenden Patientinnen und Patienten sind zwingend auf eine apparative 24/7-Überwachung angewiesen? Haben einen Gesundheitszustand, der so labil ist, dass ein Rund-um-die-Uhr Eingreifen möglich sein muss? Oder einen schwer kontrollierbaren Krankheitsverlauf?
Diese Personen benötigen ein Spital. Alle anderen nicht. Heute nicht und morgen schon gar nicht.
Das Spital von morgen ist ein «Puzzlestück» im System der Gesundheitsversorgung. Wenn man wissen will, wie das Spital von morgen aussieht, welche Funktion es einnimmt, welchen «Auftrag» es hat, wie es ausgerüstet und eingerichtet sein soll, welche Personen mit welchen Kompetenzen in ihm arbeiten und wie sich deren Zusammenarbeit konkret gestalten soll, der muss zuerst die ANDEREN «Puzzleteile» definieren.
Also das, was vor dem Spital kommt, nach dem Spital, anstelle des Spitals. Den ganzen vor- und nachgelagerten Versorgungsbereich, die beteiligten Akteure, ihr Zusammenspiel und ihr Wirken, ausgerichtet auf die versorgte Population, respektive auf die jeweiligen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Person mit Gesundheitsproblemen, wobei diese selber eine zentrale Rolle einnimmt (doch hierzu ein anderer Blogbeitrag).
So gesehen, muss meine Rolle als «Spitalexpertin» zu allererst eine Rolle der «Expertin der Gesundheitsversorgung» sein, sollte sie Sinn machen. Denn ich will keine blosse Kritikerin sein, keine notorische Rumnörglerin – was die Medien zwar lieben – sondern einen konstruktiven Beitrag leisten. Und dies nicht aufgrund einer «sozialen Ader», sondern aus purem Egoismus. Denn ich möchte, wenn ich es dereinst nötig habe, ein zusammenhängendes, in sich stimmiges, mich als Individuum (und nicht als Patientin) behandelndes Versorgungskontinuum erleben.
Darum wäre meine Handbewegung in der «Schweinderlshow» auch nicht das Zusperren, sondern das einladende Ausstrecken, Robert Lembke in allen Ehren.
Liebe Ami
Ich wünsche dir den langen Atem und das Durchhaltevermögen einer Triathlonistin (auch im anaeroben Bereich), verbunden mit der Hoffnung, dass dir gleichsam als Bonus stets viel Souveränität und Genussfähigkeit bei der Beobachtung der zu erwartenden Szenen in den (hoffentlich) kommenden disruptiven Veränderungsprozessen erhalten bleiben möge.
Herzliche Grüsse
Heinz
Merci Amy pour cet article et clarification de ton rôle d expert! 😉 pour moi, effectivement ce rôle a tout son sens et je me réjouis de profiter de discussions et d’échanges pour créer ce réseau dans lequel l’hôpital aigu est un maillon!
Willkommen im Beratungsmarkt! Liebe Ami, diesen Artikel betitle ich einmal als Diagnose zu Marktbedürfnissen im Spitalbereich.
Gerade aus eigener Erfahrung und auch aus dem Grund, dass bis heute sämtliche „Planungsversuche“ der Kantone nur Mehrkosten verursacht haben, sind die Marktbedürfnisse breit und unterstützt. In deinem Text kann der Eindruck entstehen, dass wir viel zu viele Spitalbetten betreiben die mit Menschen gefüllt sind, die sich einfach so hospitalisieren lassen. Ich kenne aber niemanden, der sich nicht dreimal überlegt, ob er dem Rat des Arztes folgen soll oder nicht. Dabei spreche ich nicht von denen, die gehen müssen, und das sind dann schon gute 70%. Sollten neue Ideen über Amidea entstehen, dann bitte unter Berücksichtigung der heute viel stärkeren Eigenständigkeit der Bevölkerung in dieser Frage und der neuen Technologien. Diese Bevölkerung will zahlreiche Angebote und will sofortigen Zugang und Rat – ich habe hunderte Beispiele, in denen ambulante Verzettelung sehr hohe stationäre Kosten ausgelöst hat. Denn Kompetenz kennt keine Aufenthaltsart.
Ja, zu Zeiten von Robert Lembkes heiterem Beruferaten gab es noch in fast jedem Täli ein Spitäli. Doch der medizinische Fortschritt führt dazu, dass immer mehr ausserhalb des Spitals gemacht werden kann und das Spital ist (neben den ambulant vor stationär Fällen) noch für stationäre Behandlungen zuständig, die es wegen des geringeren medizinischen Fortschritts zu Robert Lembkes Zeiten teilweise vielleicht noch gar nicht gab!
Im Krankheitswesen ist das Spital ein „Puzzlestück“ – nicht mehr und nicht weniger. Wir geben viel Geld aus für teure Spitäler und teure Medikamente, und manchmal gelingt es uns nicht, den wahren Nutzen zu definieren – einfach weil wir „glauben“, dass teuer gut sein muss.
Liebe Ami
Tolle Webseite! Ich freue mich auf deine kompetenten, unabhängigen, originellen – kritischen und konstruktiven – Beiträge als Spitalexpertin mit dem erfahrenen Blick für die gesamte Gesundheitsversorgung.
Ich beobachte zurzeit das Gesundheitswesen in den USA und Kalifornien, wo ich ein Forschungsjahr verbringe: Die Behandlungs- und Medikamentenkosten haben absurde Höhen erreicht, die Versicherungsdeckungen sind lückenhaft, teuer und für viele nicht zu leisten, und es wird zu wenig Prävention betrieben. Als Resultat sinkt die allgemeine Lebenserwartung seit einigen Jahren, Gesundheitsprobleme stürzen viele Leute in den wirtschaftlichen Ruin. Es fehlt am grundlegenden Verständnis dafür, dass die Gesundheitsversorgung ein «service public» ist und nicht allein über den Markt gesteuert werden kann.
Zu diesem Verständnis sollten wir in der Schweiz Sorge tragen. Eine gute und breite Grundversorgung mit allgemeinem Versicherungsschutz kostet die Steuer- und Prämienzahler einiges, aber – wie die amerikanische Erfahrung drastisch vor Augen führt – die menschlichen und volkswirtschaftlichen Kosten eines unregulierten Gesundheitsmarktes sind ungleich höher. Effiziente Leistungserbringung ist wichtig, damit das Gesamtsystem wirtschaftlich tragbar bleibt. Ebenso müssen die Strukturen den sich wandelnden Bedürfnissen und technischen Möglichkeiten angepasst werden – wie du sagst, ist wohl auch die Rolle des Spitals als Puzzlestück der Gesundheitsversorgung neu zu denken. All dies muss aber letztlich im Dienst einer, wie es die Bundesverfassung festhält, ausreichenden, allen zugänglichen medizinische Grundversorgung von hoher Qualität stehen.
Ich wünsche dir in deinem neuen Beruf viel Freude und Erfolg!
Bernhard